Courtney Marie Andrews

May Your Kindness Remain

Die Musik von Courtney Marie Andrews ist das Beste, was es derzeit im Country-Bereich zu hören gibt. Ihre Songs speisen sich aus persönlichen Erlebnissen, sind aber so gearbeitet, dass jeder sich darin wiederfinden kann, zumindest jeder, der schon einmal geliebt hat, jemand Geliebtes verloren hat, bzw. sich warum auch immer allein gelassen, traurig und schwach gefühlt hat.
Ihre Kunst und das Leitmotiv vieler ihrer Songs ist es, den Stolz ihrer Figuren zu zeigen, diesen Erfahrungen nicht ausgewichen zu sein und daraus neue Stärke gezogen zu haben und zu ziehen. »I wouldn’t have it any other way« heißt es in dem Song »Took you up«.
Doch Andrews kreist bei weitem nicht nur um sich selbst. Einzelne Texte sind stolze, feministische Selbstbehauptungsstatements, in »Two Cold Nights in Buffalo« thematisiert sie Gentrifizierung und in »Border« die Verzweiflung mexikanischer Einwanderer im Wüstengebiet im Süden der USA (»Thorns in his hair, dust in his teeth / Coyote man, land of the free, / A water can, land of the free«).

Seit ihrem 16. Lebensjahr hat sie sechs Alben produziert. Ihr großes offizielles Debüt jedoch war 2016 das Album »Honest Life«. Da war sie 26. Bei ihren Auftritten im letzten Jahr scherzte die beinah schmerzlich natürliche Künstlerin, dass sie gerne so gut malen würde, wie ihre Mutter es wohl kann, und dass sie statt dessen Bilder (Metaphern) in ihre Texte einfließen lässt. Ja, man kann sich den »Table for one« aus dem gleichnamigen Song vorstellen; so geht einem das mit allen ihren Songs. Sie legt große Genauigkeit in die Zeichnung dieser Vignetten. In ihrem Vortrag, zwischen expressiv und behutsam, zwischen sanft und triumphierend, setzt sie den dicken Pinselstrich genau so treffend wie den zarten Tupfer.

Mit dieser Stimme kann die Andrews das. Ihre Klarheit und ihr Timbre erinnern dabei in den kraftvoll gesungenen Passagen an Iris DeMent, es fallen einem auch Linda Ronstadt oder Emmylou Harris ein. Live lässt sie auch schon einmal ihre innere Janis Joplin frei. In Interviews beklagt sie mitunter, dass Rezensenten sie reflexhaft mit weiblichen Künstlern vergleichen, aber für ihre Stimme sind diese Vergleiche hoffentlich zulässig. Der Gesamtsound der Songs von »Honest Life« liegt, von ihr bewusst darauf angelegt, sehr nah bei Jackson Browne oder Ryan Adams. Die (musikalisch) warmen 70er lassen grüßen.
Auch »May Your Kindness Remain«, das neue Album, von Mark Howard produziert, klingt weiter nach den 70ern, also zeitlos, doch die dicken Pinselstriche überwiegen. Wer also ein Problem mit großen Gesten hat, wird auch seine Probleme mit dieser Platte haben. Die Leadgitarre (Dillon Warnek) ist dröhnender, die Orgel (in manchen Songs sogar zwei!) noch hervorstechender, der Backgroundgesang von Gospelsängerin C. C. White soulig. All dies treibt, so fühlt es sich an, Andrews dazu, noch kraftvoller zu singen, mit noch mehr Inbrunst als zuvor schon, und diese Form entspricht ihrem Anliegen: ihre Charaktere, die Verlierer Amerikas, in ihren Nöten, aber auch ihrem Trotz und neuer Unbeugsamkeit zu zeigen.
Mit dieser grandiosen Sprengung all der stilistischen Zurückhaltung setzt sie ihre Figuren sonisch frei, gerade wie William Eggleston in seinen ikonischen Farbfotos ganz ähnliche Figuren (zum Beispiel den Supermarkt-Trolley-Zusammenschieber) in Licht badete und ihnen so ihre zuvor geraubte Würde im Übermaß zurückgab. »It’s kindness that makes them beautiful«.
Courtney Marie Andrews: »May Your Kindness Remain« (Loose Music/Rough Trade), Tour: 13.4. Berlin, 14.4. Amsterdam, 15.4. Köln, 16.4. Brüssel

((c) Junge Welt 2018 / by Frank Schwartzberg)

 

 

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