Small Changes
Für sein neues Album »Small Changes« hat sich Soulsänger Michael Kiwanuka fünf Jahre Zeit gelassen.
Verständlich, war doch der Vorgänger »Kiwanuka« ein großer Erfolg, der unter anderem den renommierten Mercury Prize gewinnen konnte. Die elf neuen Songs stehen dem in nichts nach und belegen einmal mehr, dass Michael Kiwanuka momentan einer der besten Songwriter im Soul-Pop-Bereich ist. Den Titel seines neuen Albums hat der soulverliebte Singer-Songwriter Michael Kiwanuka mit Bedacht ausgewählt. Die nunmehr vierte Studioeinspielung des Londoners heißt „Small Changes“, und die darin genannten subtilen Veränderungen beschreiben perfekt, was bei ihm gerade los ist. Kiwanuka ist auf Reduktion aus. Wie am Lagerfeuer angeschlagene Akustikgitarrenakkorde lassen den Eröffnungssong „Floating Parade“ zunächst beinahe beiläufig wirken.
Sobald jedoch das sanft geschlagene Drumset sorgsam die Führungsrolle übernimmt, ändert sich das Klangbild. Direkt anspringen will es einen aber immer noch nicht. Im Zusammenspiel mit echo-intensivem Chor, sorgsam arrangierten Streicherkaskaden und umherschleichendem Bass entsteht allerdings ein Wohlfühlsound.
Frei von Ecken und Kanten kommt der freilich nicht rüber. Dafür ist der Multiinstrumentalist Kiwanuka viel zu offensichtlich in Psychedlic Pop und Rock-Jazz zu Hause. Dennoch zielt er unmittelbar entwaffnend und frei von jeglichen Soul-Scharmützeln direkt ins Zuhörerherz. In demütigem Tonfall singt er vom Loslassen des Egos. „Wir sind nicht stärker als das Leben selbst“, lautet eine jener tugendhaften Erkenntnisse, die der 37-Jährige bündig formuliert in seine Texte einfließen lässt. In einer der darauffolgenden Zeilen erzählt er davon, wie beglückend es sein kann, Schwächen und Grenzen einzugestehen und anzuerkennen.
Die Leichtigkeit in seiner Stimme lässt erahnen, dass er keine Kalenderblattsprüche zitiert, sondern eigene Erfahrungen schildert. Umso weniger predigend klingen seine neuen Songs. Kiwanuka will niemanden bekehren. Wege zum Glück zeigt er gleichwohl dennoch auf, vor allem musikalische.
Scheinbar vollkommen mühelos und mit feinen Improvisationsmomenten versehen, befreit er seine Musik quasi en passant von Genrestandesdünkel. Seine Songs bauen trotzdem direkte Seelenverbindungen zu seinen Zuhörern auf.
Elf Stücke siedelt er diesmal im Spannungsfeld zwischen Bill-Withers-Untertreibung und Marvin Gayes Dauerverquickung von Spirituellem und Paranoia an. Was „Small Changes“ zudem aufsehenerregend zeichnet, ist das geschmackvolle, aufs Allernötigste beschränkte Ausgestalten groß geschaffener Arrangementräume. Kiwanuka ist offensichtlich ein detail- und nuancenliebender Musikarchitekt.
Anders lässt sich das Titelstück der Platte nicht deuten. Wie ein minimalistisches Manifest aufgebaut, geht es darin um Perspektivwechsel, die den Weg von der Gier zum Teilen aufzeigen. In der Ballade „One and Only“ setzt er seine Geschichtenerzählerstimme perkussiv ein. Sein erdiges Register umhüllt in solchen Momenten wie eine wärmend-heilende Decke.
Im Song „Rebel Soul“ gelingt ihm andererseits das Kunststück, die Musik geradezu schwerelos durch Raum und Zeit schwingen zu lassen. Für derlei Glanzleistungen musste er sich erst mal von allerlei selbstauferlegten Beweispflichten befreien. Insbesondere während der Arbeit am viel gelobten und inzwischen vergoldeten Vorgängeralbum „Kiwanuka“ spürte er noch den Druck, sich als Künstler beweisen zu müssen. Die Folgen dieser Last zeigten sich auf der Platte in Form von Myriaden an Soundschichtungen. Hier noch ein paar zusätzliche Gitarreneffektspuren, da mehr ausschmückende Percussion: Im Endeffekt gab’s auf „Kiwanuka“ von allem zu viel.
Es seien keine kommerziellen Aspekte gewesen, die ihn während der Produktion seiner letzten Studioeinspielung vor fünf Jahren vergleichsweise großspurig ans Werk schreiten ließen, verlautbart er. Vielmehr hatte er das Gefühl, Kollegen, Zuhörern und sich selbst gegenüber erkennen lassen zu müssen, wie viel Können in ihm steckt.
Während der ersten Sessions zum neuen Album stellte er seinen beiden Co-Produzenten Danger Mouse und Inflo schließlich eine entscheidende Frage: Wie würde seine Musik wirken, wenn er nicht mehr versucht wäre, auf Teufel komm raus cool zu klingen?
Fokus auf Stimme und Texte
Das Kollektiv beschloss daraufhin, den Fokus diesmal stärker auf seine Stimme, die Texte und Melodien zu legen. Fürs Beschränken auf die Essenzen sorgte obendrein eine zuvor fehlende Erfahrung. Im halben Jahrzehnt zwischen „Kiwanuka“ und „Small Changes“ wurde der Musiker Vater zweier Kinder, eines Sohnes und einer Tochter.
Der Nachwuchs habe bei ihm neues, tiefergehendes Selbstbewusstsein ausgelöst, meint er. Das Daddy-Dasein kappte seine Zeit, er musste schneller Entscheidungen treffen und herausfinden, wer er ist. Auf die nervtötenden Fragen der Kinder vorbereitet zu sein, fiel ihm zunächst nicht leicht, wie er sich erinnert.
Wenn Antworten von jungen Ohren eingefordert werden, reicht Nichtwissen kaum aus, was praktisch alle Eltern bezeugen können. Auf sein Songschreiben übertragen, stellte er sich selbst beständig die Frage: Will ich wirklich sagen, was ich aufgeschrieben habe, und kann ich dazu stehen?
Zum luftigen, unbeschwert-zurückgenommenen „Small Changes“-Sound trugen zudem ein paar Studiomusikerasse bei, deren Sturm- und Drangzeiten lange vorbei sind. Kiwanukas Landsmann Pino Palladino, der bereits für The Who, Beyoncé, David Gilmour und unzählige weitere Rock- und Popstars die Basssaiten schwingen ließ, sorgte diesmal für Tieftongrundierungen.
Nachdem das Produktionsteam für ein paar Aufnahmesessions nach Los Angeles gereist war, schaute außerdem der in Kalifornien lebende Jimmy Jam vorbei. Das Keyboarder- und Produzentenschwergewicht, unter dessen Co-Regieführung unter anderen die Hightech-Funk-Blockbuster von Janet Jackson entstanden, war zunächst nur als Freund von Inflo anwesend.
Weniger ist mehr
Als die Frage aufkam, wer ein paar benötigte Hammond-Orgel-Spuren einspielen könnte, hob Jam spontan die Hand. Im Endeffekt spielte er rund dreiviertel aller hörbaren Hammond-Sounds für „Small Changes“ ein. Gemeinsam folgte das gesamte Team bis zur finalen Abmischung des Albums dem Weniger-ist-mehr-Leitfaden, der anfänglich im Raum stand. Zu guter Letzt drehte sich sogar Kiwanukas Coolness-Doktrin früherer Tage einmal um die eigene Achse.
Von der selbstauferlegten Beweispflicht befreit, klingt seine Musik heute cooler, weil wahrhaftiger denn je. Spielerisch und gewissenhafter kostet er minimalaufwendig geschaffene Soundatmosphären aus. Seine Textaussagen gewinnen dadurch enorm an Wirkkraft. Dass er fürs deutlich opulenter arrangierte Vorgängerwerk eine Grammy-Nominierung erhielt, scheint ihm schnuppe zu sein.
Was zählt, ist die Momentaufnahme des frisch dazugewonnenen Lebenserfahrungswerts. Dass von ihm noch Großes zu erwarten ist, unterstreicht „Small Changes“ locker und eindringlich.